Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft für Opfer von Zwangsprostitution

Am 04.12.2020 entschied das Verwaltungsgericht Köln (U.v. 04.12.2020, 15 K 14129/17.A) zugunsten der Klägerin aus Nigeria, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft anzuerkennen sei. Diese ist Opfer vom Handel mit Frauen zu sexuellen Zwecken geworden, was in Nigeria ein zentrales Problem ist. Im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland drohe ihr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung von Menschenhändler*innen und Vergeltungsaktionen. Die meisten Opfer des Menschenhandels stammen laut Gericht aus Benin City und Umgebung. Der nigerianische Staat sei außerdem nicht imstande hinreichenden Schutz zu gewähren; auch eine innerstaatliche Fluchtalternative gäbe es nicht.
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Abschiebungsverbot für alleinerziehende Mütter aus Georgien

Das sächsische Oberverwaltungsgericht (U.v. 20.11.2020, 2 A 494/20.A) bejahte die Gefahr einer menschenunwürdigen Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. einer Situation extremer materieller Not für eine alleinerziehende Mutter zweier minderjähriger Kinder aus Georgien. Das Gericht stellte fest, dass das Existenzminimum in Georgien zwar gesichert wäre, jedoch der Familienverband einen hohen Stellenwert habe, insbesondere durch finanzielle Leistungen, Zurverfügungstellen von Wohnraum und Kinderbetreuung. Sei mit alledem im Falle einer Rückkehr nach Georgien nicht zu rechnen, komme ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Betracht.
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Abschiebungsverbot nach Afghanistan wegen schlechter humanitärer Verhältnisse

Das Verwaltungsgericht Arnsberg (U.v. 19.10.2020, 8 K 8696/17.A) stellte fest, dass zugunsten des Klägers, einem jungen und gesunden Mann aus Afghanistan, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK festzustellen sind. In dem Fall entschied das Gericht, dass eine Rückkehr nach Afghanistan zwingend mit schlechten humanitären Verhältnissen verbunden sei, da die dortigen Lebensverhältnisse ein menschenwürdiges Dasein des Klägers nicht erlaubten. Trotz berufspraktischer Erfahrungen als Schumacher sei nicht damit zu rechnen, dass der Kläger vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie und der sich drastisch verschlechterten Wirtschaftslage sein Existenzminimum in Afghanistan sichern könne.
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Familienasyl trotz unterschiedlicher Staatsangehörigkeiten

Ist es möglich, Familienasyl nach § 26 Abs. 1 Satz 5 AsylG geltend zu machen, obwohl die Staatsangehörigkeiten der Familienangehörigen unterschiedlich sind? In dem Fall vor dem Verwaltungsgericht Münster besaßen die asylberechtigte Ehefrau und die beiden gemeinsamen Kinder die syrische Staatsangehörigkeit, während der Ehemann bzw. der Vater die jordanische besaß. Sie haben in Syrien geheiratet und dort 13 Jahre zusammengelebt. Nach einer gescheiterten Familienzusammenführung in Jordanien, wo der Ehemann sich dann zeitweise alleine aufgehalten hatte, wurden die Ehefrau und ihre Kinder als Asylberechtigte in Deutschland anerkannt. Entgegen der Auffassung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge entschied das Verwaltungsgericht Münster (U.v. 28.09.2020, 8 K 1539/20) , dass die gleiche Staatsangehörigkeit oder eine Verfolgungsgemeinschaft für das Familienasyl nicht erforderlich sei. Die Ehe sei in Syrien wirksam geschlossen, auch habe die familiäre Lebensgemeinschaft dort jahrelang vor seinem Aufenthalt in Jordanien bestanden. Die vom BAMF geforderten Voraussetzungen stünden zudem nicht im Gesetz.
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Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft für Wehrdienstverweigerer in Syrien

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (U.v. 29.01.2021, OVG 3 B 109.18) hat nun seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben und erkennt für Wehrdienstverweigerer aus Syrien die Flüchtlingseigenschaft an. Es komme insbesondere nicht auf die Eigenschaft als Militärangehöriger oder die Vorlage eines Einberufungsbescheids an. Auch die Möglichkeit des Freikaufens sei irrelevant, da sie unzuverlässig sei. Etwaige Amnestieregelungen seien intransparent, sprächen gerade für eine Bestrafung in sonstigen Fällen und enthielten gerade keine Befreiung von der Wehrpflicht.
Wehrdienstverweigerern werde grundsätzlich eine oppositionelle Haltung unterstellt, die Teilnahme am Wehrdienst führe mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Teilnahme an Kriegsverbrechen. Die Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg ist somit eine Anpassung an die Rechtsprechung des EuGH, die in vielen anderen Entscheidungen noch völlig unberücksichtigt bleibt. So zum Beispiel das OVG NRW (Pressemitteilung v. 22.03.2021, 14 A 3439/18.A). Es wird spannend, wie das OVG NRW auf die Argumentation des OVG Berlin-Brandenburg reagieren wird, insbesondere im Hinblick auf die Teilnahme am Wehrdienst mit der damit einhergehenden Gefahr der Teilnahme an Kriegsverbrechen.
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Kostenlose medizinische Behandlung in der Russischen Föderation?

Abschiebungshindernisse nach Russland zugunsten von Personen, die auf medizinische Versorgung angewiesen sind, haben bislang in der Praxis der Bundesämter und Rechtsprechung keine Berücksichtigung gefunden. Oft begnügen sich BAMF und Gerichte mit kurzen Angaben darüber, dass die Russische Föderation eine kostenlose Behandlung jeglicher Erkrankungen ermöglicht. Wie es jedoch tatsächlich in der Praxis in Russland aussieht, wird völlig außer Acht gelassen.
Laut dem aktuellen IOM-Länderinformationsblatt zur Russischen Föderation (2019) werde dort die medizinische Versorgung von staatlichen und privaten Einrichtungen für jeden ermöglicht, die Behandlung werde im Rahmen der staatlich finanzierten Krankenversicherung bezahlt und sei somit für die Patienten kostenfrei. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) ist mit ihren Analysen zur Frage der medizinischen Versorgung in der Russischen Föderation zu völlig anderen Ergebnissen gelangt ( zwei Themenpapiere aus Juni 2019). Die gesetzliche Krankenversicherung (OMS) bezahlt für Arztbesuche 108 Rubel (1,40€), die tatsächlichen Kosten liegen jedoch zwischen 300 und 800 Rubel (3,90-10,30€). Die Tarife der gesetzlichen Krankenversicherung sind immer niedriger angesetzt als die tatsächlichen Kosten, die Lücke wird bei komplizierten und dauerhaften Behandlungen größer. Die Behandlung onkologischer Krankheiten werden bis zu 140.000 Rubel (1.804€) übernommen, kosten aber tatsächlich mindestens eine Million Rubel oder mehr (12.887€). Die Differenzen müssen die Patienten selbst bezahlen, können sie dies nicht, kriegen sie keine Behandlung. Laut einer Umfrage im Jahr 2014 haben 62% der Patient*innen die Diagnostik selbst bezahlt, Hilfsmittel für chirurgische Eingriffe und benötigte Geräte müssen immer von den Patienten*innen selbst bezahlt werden. 90% der Bevölkerung muss sich ihre Medikamente selbst finanzieren. Das Durchschnittseinkommen in Russland liegt bei 742 US Dollar, entspricht 54.145,22 Rubel (624,39€). Somit ist die medizinische Versorgung für Personen in der staatlichen Krankenversicherung weder für jeden zugänglich, noch kostenfrei.
Obwohl das Bundesverfassungsgericht bereits wiederholt entschieden hat, dass die Gerichte diese Tatsachen in ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen müssen, geschieht dies immer noch nicht (BVerfG, B.v. 27.03.2017, 2 BvR 681/17, Rn. 11; B.v. 09.02.2021, 2 BvQ 8/21, Rn.7). Bei Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Welche Auswirkungen hat die Einleitung eines Widerrufs- bzw. Rücknahmeverfahrens der Flüchtlingseigenschaft auf die Aufenthaltserlaubnis und besteht trotz laufenden Verfahrens ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis?
Nicht selten leitet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Widerrufs- bzw. Rücknahmeverfahren der Flüchtlingseigenschaft ein oder nimmt diese zurück. Dies ist nach §§ 72 ff. AsylG auch grundsätzlich möglich. Die Einleitung eines solchen Widerrufs- bzw. Rücknahmeverfahrens hat natürlich allein erstmal keine Auswirkungen auf den Schutzstatus. Sobald das BAMF sich dazu entscheidet, den Schutzstatus zu widerrufen bzw. zurückzunehmen, sollte unter Umständen gegen diese Entscheidung Klage erhoben werden, denn grundsätzlich gilt: bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens bleiben sie schutzberechtigt und behalten ihre Flüchtlingseigenschaft.
Aber was ist, wenn die Aufenthaltserlaubnis während des gerichtlichen Verfahrens erlischt und die Verlängerung beantragt wird? Oder wenn während des gerichtlichen Verfahrens eine Niederlassungserlaubnis bzw. die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt wird? Muss die Ausländerbehörde trotz laufenden Verfahrens die Aufenthaltserlaubnis verlängern oder die Niederlassungserlaubnis ausstellen, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen?
Grundsätzlich gilt: hat das BAMF die Flüchtlingseigenschaft anerkannt, so ist die Ausländerbehörde daran gebunden, bis das BAMF die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar widerrufen bzw. zurückgenommen hat (§ 6 AsylG, § 42 AsylG). Das heißt die Ausländerbehörde darf allein wegen einer Vorprüfung oder Einleitung des Widerrufs-/Rücknahmeverfahrens nichts an ihrer Aufenthaltserlaubnis verändern.
Viele Ausländerbehörden berufen sich auf § 81 Abs. 4 S. 1 AufenthG und stellen lediglich eine Fiktionsbescheinigung aus. Die Vorschrift regelt grundsätzlich folgenden Fall: Sie beantragen die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis, weil diese in zwei Monaten abläuft. Über den Antrag entscheidet die Ausländerbehörde aber erst nach vier Monaten. In dem Fall greift § 81 Abs. 4 S. 1 AufenthG: bis die Ausländerbehörde eine Entscheidung getroffen hat, gilt ihre ursprüngliche Aufenthaltserlaubnis. Diese Vorschrift wenden viele Ausländerbehörden auch für den Fall an, dass das BAMF ein Widerrufs- bzw. Rücknahmeverfahrens eingeleitet hat und stellt bis zur Entscheidung des BAMF nur eine Fiktionsbescheinigung (sog. Fortgeltungsfiktion) aus. Ist das rechtmäßig?
Nein, denn wie bereits erwähnt ist die Ausländerbehörde an die ursprüngliche Entscheidung des BAMF gebunden, bis diese eine neue unanfechtbare Entscheidung getroffen hat. Daraus folgt auch, dass sich an dem Regelanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nichts verändert! Darüber hinaus existiert keine gesetzliche Regelung, die die Ausländerbehörden dazu verpflichten, das Widerrufs-/Rücknahmeverfahren des BAMF abzuwarten. Auch § 8 Abs. 1 AufenthG spricht dafür, dass der Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis besteht. Voraussetzung für die Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist nach § 25 Abs. 1-3 AufenthG die positive BAMF Entscheidung, das heißt solange der Schutzstatus besteht, haben Sie einen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Dies gilt auch im Falle eines gerichtlichen Verfahrens; auch hier ist die Ausländerbehörde zur Verlängerung verpflichtet, bis das Verfahren unanfechtbar abgeschlossen ist. Setzt sich die Ausländerbehörde darüber hinweg und erteilt Ihnen dennoch nur eine Fiktionsbescheinigung und weigert sich, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, muss der Anspruch im Wege der Untätigkeitsklage vor Gericht durchgesetzt werden.

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