Freizügigkeitsrecht der Eltern von minderjährigen Unionsbürgern

Die Ausländerbehörde ist verpflichtet, den Eltern minderjähriger Unionsbürger eine Daueraufenthaltskarte nach dem EU-Freizügigkeitsgesetz (FreizügG/EU) auszustellen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Zu diesem Ergebnis kam das Verwaltungsgericht Köln, in dem unsere Kanzlei vor dem VG Köln vertreten hat.

Die Mandantschaft, die Eltern zweier Kinder mit spanischer Staatsangehörigkeit, hatten bei der zuständigen Ausländerbehörde die Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte/EU beantragt. Die Ausstellung wurde jedoch von der Ausländerbehörde abgelehnt. Ihre Ablehnungsbescheide begründete die Ausländerbehörde damit, dass die Eltern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU hätten. Die Unionsbürger-Kinder seien nicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 5 in Verbindung mit § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt, weil sie nicht in Deutschland erwerbstätig sind und daher über kein eigenes Einkommen verfügen.

Die Ablehnungsbescheide sind jedoch rechtswidrig und verletzen die Eltern in ihren Rechten, denn die Eltern haben einen Anspruch auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte nach dem FreizügG/EU gem. § 5 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU.

Gegen die Ablehnungsbescheide der Eltern legten wir daher Klage beim Verwaltungsgericht Köln ein und beantragten die Aufhebung der Ablehnungsbescheide. Das Gericht sollte die beklagte Ausländerbehörde außerdem verpflichten, den Eltern eine Daueraufenthaltskarte/EU auszustellen.

1. Zunächst besitzen die minderjährigen Unionsbürger entgegen der Auffassung der beklagten Ausländerbehörde ein eigenes Freizügigkeitsrecht.

Gemäß § 4 FreizügG/EU sind nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, freizügigkeitsberechtigt i.S.d. § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und über ausreichende Existenzmittel verfügen. Die Vorschrift ist nur auf nicht erwerbstätige Unionsbürger und deren Familienangehörige anwendbar. Daraus lässt sich ableiten, dass europäische Gesetzgeber dieser Personengruppe gerade nicht generell ihr Freizügigkeitsrecht absprechen wollte.

Für die Freizügigkeitsberechtigung kommt es vielmehr auf die „ausreichenden Existenzmittel“ an. Der Begriff der „Existenzmittel“ wird in der Gesetzesbegründung und in Nr. 4.1.2.1 AVwV-FreizügG/EU definiert. Existenzmittel i.S.d. § 4 FreizügG/EU sind danach „alle gesetzlich zulässigen Einkommen und Vermögen in Geld- oder Geldeswert oder sonstige eigene Mittel, insbesondere Unterhaltsleistungen von Familienangehörigen oder Dritten“. Dies steht im Einklang mit Art. 7 Abs. 1 lit. b) Freizügigkeits-RL, welcher nicht weniger aber auch nicht mehr verlangt, als dass nicht erwerbstätige Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügen.

Somit reichte es im vorliegenden Fall aus, dass die Eltern über ein eigenes Einkommen verfügen, mit dem sie ihren eigenen und den Lebensunterhalt ihrer Kinder selbstständig sichern können.

2. Darüber hinaus haben auch die Eltern ein Freizügigkeitsrecht nach dem FreizügG/EU. Dieses ergibt sich unmittelbar aus Art. 21 AEUV und folgt daraus, dass anderenfalls das Freizügigkeitsrecht der Unionsbürgerkinder in seiner praktischen Wirksamkeit erheblich beeinträchtigt werden würde.

Eine anderweitige Auffassung verkennt die grundlegende Bedeutung des Freizügigkeitsrechts von Unionsbürgerkindern. Weder der europäische noch der nationale Gesetzgeber hat eine Unterscheidung beim Umfang und der Wertigkeit des Freizügigkeitsrechts von Kindern im Verhältnis zu Erwachsenen gemacht. Bei dem Freizügigkeitsrecht des Unionsbürgerkindes handelt es sich vielmehr um ein vollwertiges subjektives Recht, welches durch EU-Recht vermittelt wird.

Um die praktische Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts von minderjährigen Unionsbürgern, insbesondere von Unionsbürgerkindern, die – im umgekehrten Fall zu § 1 Abs. 2 Nr. 3 d) FreizügG/EU – nicht ihren Eltern Unterhalt zahlen, sondern von ihren Eltern Unterhalt erhalten, nicht zu beeinträchtigen, müssen die Eltern unter denselben Voraussetzungen freizügigkeitsberechtigt sein wie ihre Kinder. Das liegt daran, dass die Kinder sich de facto nicht innerhalb der EU bewegen und sich dauerhaft in einem EU-Staat ihrer Wahl niederlassen können, wenn ihre Eltern kein Recht auf Freizügigkeit bzw. Daueraufenthalt besitzen. Man stelle sich etwa ein sechsjähriges Kind vor. Unmöglich könnte das Kind ohne seine Eltern in einen anderen EU-Staat ziehen und dort zur Schule gehen – genau dies wäre jedoch sein Recht.

Aus diesem Grund leitet sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG Urt. v. 23.09.2020 – 1 C 27.19) aus Art. 21 AEUV ein Freizügigkeitsrecht des Elternteils ab. Dieses Freizügigkeitsrecht ist nach der Rechtsprechung des BVerwG ein Freizügigkeitsrecht i.S.v. § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, welches auf einer Stufe mit den Freizügigkeitsrechten aus der Freizügigkeits-RL steht. Daher ist die Freizügigkeits-RL (analog) anzuwenden und das Freizügigkeitsrecht, wie jedes Freizügigkeitsrecht durch Ausstellung einer Aufenthaltskarte zu bescheinigen.

Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lediglich, dass sie tatsächlich für das Kind sorgen und dieses über ausreichende Existenzmittel verfügt (EuGH, Urteil vom 10.10.2013- C-86/12). Der EuGH begründet dies in seiner Entscheidung damit, dass ansonsten dem Aufenthaltsrecht des Kindes jede praktische Wirksamkeit genommen werde. Die Voraussetzung des Aufenthaltsrechts durch ein Kind im Kleinkindalter setzt offenkundig voraus, dass sich die für das Kind tatsächlich sorgende Personen bei diesem aufhalten dürfen (EuGH, Urteil vom 19.10.2004- C- 200/02).

Dass das Kind aufgrund der Erwerbstätigkeit und dem ausreichenden Einkommen der Eltern über ausreichende Existenzmittel verfügt, wurde oben bereits festgestellt. Daher hatten die Eltern im Ergebnis einen Anspruch auf Ausstellung der Daueraufenthaltskarte/EU, die ihnen jeweils ihr oben genanntes Recht auf Freizügigkeit bescheinigt.

Kontaktieren Sie uns:

Anfrageformular